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Scivias - Wisse die Wege - Eine Nacht im Leben der Hildegard von Bingen und der Katharina von Bora

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Scivias - Wisse die Wege - Eine Nacht im Leben der Hildegard von Bingen und der Katharina von Bora. Foto: Katja Burgemeister für KamenWeb.devon Katja Burgemeister

Kamen-Heeren. Beide sehen glasklar, wohin ihr Weg sie führen wird. Dann wieder stehen sie im finsteren Wald und hadern mit dem Zweifel. Die eine lebte vor fast 900 Jahren, die andere vor 500. Aktueller können die Wendepunkte, mit denen Hildegard von Bingen und Katharina von Bora ringen, jedoch nicht sein. Starke Frauen, die Entscheidungen treffen und Geschichte mitschreiben. In der Ev. Kirche in Heeren-Werve trafen beide auf der Theaterbühne aufeinander.
Dabei könnten die Frauen auf den ersten Blick verschiedener nicht sein. Beide sind Nonnen, als sie eine neue Bestimmung wie eine Offenbarung trifft. Hildegard von Bingen begegnet Gott in der Natur, entdeckt die „Grünkraft“, Mystik, Medizin, Ethik, Kosmologie, Religion und gründet ihr eigenes Kloster gegen alle kirchlichen Widerstände. Katharina von Bora begegnet Luther, seinen Thesen und seinem unbändigen Willen zur Reformation. Sie verlässt das Kloster, wird seine Ehefrau und wichtige Stütze. Beide tun etwas für ihre Zeit Ungehöriges.
Sie sind Schwestern im Geiste. Das hat Friederike von Krosigk mit ihrem Ensemble Theatrum erkannt und mit dem Stück „Scivias – Wisse die Wege“ eine Nacht erschaffen, in der beide Frauen nach einer heftigen Krise ihren Weg finden. Mit den originalen, 900 Jahre alten Worten der erst 2012 heilig gesprochenen Kirchenlehrerin Hildegard – und mit dem wenigen, was von Luthers Ehefrau Katharina überliefert ist. Ein mutiger Versuch mit viel Platz für künstlerische Freiheit. Ein Versuch, der einen Tag nach Katharina von Boras Geburtstag mehr als gelungen ist.
Manchem im Publikum entwich ein spontaner Seufzer, wenn Hildegard von Bingen entdeckt, dass „die Schriften durchwoben sind mit dem Wissen fremder Kulturen“, dass „im Wort ist Klang, Kraft und Hauch“. Zustimmendes Raunen erfüllt die frisch renovierte Kirche, als Hildegard mutig postuliert, dass „Leib und Seele sich ergänzen“, gar „Mann und Weib gemeinsam kämpfen“. Damals fast ketzerische Worte, die in heutigen Ratgebern nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
Ein Jahr vor dem Reformationsjubiläum waren die Zuschauer nicht minder gefesselt vom Ringen der Katharina von Bora, die anders als ihre „Vorgängerin“ nicht „Gesichter schaut“ in Offenbarungen. Ihr bleibt ein Zeichen Gottes verwehrt. Dafür mangelt es nicht an Ermahnungen. Frauen haben zu gehorchen, Nonnen sind für immer die Bräute Christi, auch wenn in der Bibel mehrere Ehefrauen verpönt sind. Auch vor klugen Redensweisen wimmelt es nur so: „Krause Haare, krauser Sinn, sitzt der Teufel mitten drin“, wispert es im Hintergrund. „Geh, wohin dein Herz Dich trägt“, ermutigt sich die Verzweifelte selbst. Am Ende ist „die Hoffnung wie das Auge der Liebe“ und beide Frauen finden ihren Weg.
Wege, die bis heute nachhallen. Auf dem Gabentisch in der Kirche gab es in der Pause ganz stilecht „Reformationsbrot“ nach einem Rezept der Theatergrupe. Es war sofort ausverkauft. Theatrum ist mit ihrem inzwischen 3. Auftritt längst Stammgast in der Heerener Kirche. Kein Wunder: Friederike von Krosigk hat hier Verwandtschaft. Auch diesmal war die ganze Truppe, die übrigens ihren Sitz in Sachsen-Anhalt ebenfalls auf einem Schloss hat und zu einer Stiftung gehört, zum Mittagessen auf dem Schloss eingeladen. Übernachtet haben sie bei den katholischen Glaubensbrüdern: Die Familie Güneysu hat sie aufgenommen und war „fasziniert, dass so großartig künstlerisch agierende Menschen auch ganz normale Leute sind“.


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