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Musikkritik: Ergreifend aufgeführte Johannespassion mit hervorragenden Interpreten

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Pixabay.comvon Dr. Götz Heinrich Loos
Kamen. Johann Sebastian Bachs Passionsmusiken gehören zu den großen Werken des Meisters und haben seine Wiederentdeckung seit Mendelssohns Aufführung der Matthäuspassion in Schwung gebracht. Dem dramatischen Inhalt entsprechend, hat Bach eine sehr bewegende Musik komponiert, bei der dramatisch-tragische bis melancholisch-trauernde Melodien überwiegen. Bach hat jedoch die Musik stark dem Text angepasst, so dass er vor allem auf der Klaviatur der Harmonik einiges anstellen konnte. Umso erstaunlicher ist die Stimmung, die er gesamtkompositorisch erzeugen konnte und die Eingängigkeit und melodiöse Ausarbeitung des Stoffes. Bei einem musikalisch derart anspruchsvollen Werk ist die Erwartungshaltung selbstverständlich groß.
Mit dieser Spannung ging es am Sonntag „Lätare“ in die Pauluskirche, wo Evangelische Kantorei und Evangelischer Kammerchor Kamen das Werk gemeinsam mit dem Orchester „concerto vivo“ unter Leitung von Kirsten Schweimler-Kreienbrink aufführten. Als Gesangssolisten traten Bettina Lecking (Sopran), Silke Weisheit (Alt), Stefan Sbonnik (Tenor) und Gustav Muthmann (Bass) auf, unterstützt in einzelnen Solopartien von Mitgliedern der Chöre, wobei vor allem Volker Nordalm (Bass) als Pilatus zu nennen ist.
Vorweg gesagt: Die Interpretation ist mehr als glänzend gelungen. Und das war sicher nicht alleiniger Verdienst des Barockorchesters „concerto vivo“; dieses inzwischen nicht mehr unbekannte, aus Musikern verschiedener Städte und Stätten Nordwestdeutschlands etwas zusammengewürfelte Ensemble spielte wie aus einem Guss – mit guter Einfühlung in barocke Praktiken, obwohl die Instrumente keine barocken Originale oder Nachbauten waren (zumindest so weit ich sehen konnte ---). Die Instrumentengruppe des Basso Continuo wurde durch eine Laute verstärkt – mittlerweile gängige Praxis in Barockaufführungen, aber in Kamen bisher doch ein sehr seltener Anblick. Sehr gerecht den Gepflogenheiten (oder Notwendigkeiten?) Bachs wurde auf ein Cembalo verzichtet und („nur“) das Orgelpositiv eingesetzt.
Aber zu der Chorgemeinschaft: Ausdrucksvoll, kräftig oder auch zurückgenommen, einfühlsam – und meist absolut stimmig (im wahrsten Sinne des Wortes). Die Empathie selbst bei den Chorälen war beeindruckend. Leider gelang der Anfang nicht so gut. Nach einem dramatischen instrumentalen Vorspiel setzt der Chor mit „Herr, unser Herrscher“ ein; der Chor muss auf- und abschwellend über einer instrumentalen „Wellenbewegung“ singen, was hier zu Beginn nur sehr mühselig gelang, sich aber im Laufe des Chorstücks steigerte und verbesserte. Ein generelles Problem, das vereinzelt bemerkbar war, besonders wenn der Chorsopran ein Solo vorzutragen hatte, besteht in dem schon anderweitig gelegentlich erwähnten „Hohlklang“ der Sopranstimmen insgesamt; da fehlte dann doch die sprichwörtliche „Einstimmigkeit“ wenigstens in der Klangausgestaltung. Glücklicherweise war diese Problematik in der Chorgemeinschaft insgesamt in der Regel nicht auffällig und so ergab sich überwiegend ein faszinierend schöner Chorklang. Hier kann man viele sehr berührende Teile nennen, u.a. „O große Lieb“, „Dein Will gescheh“, „In meines Herzens Grunde“, „Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine“ (als wohl bekanntestes Chorstück der Johannespassion; kaum besser machbar, wie ich finde!), der Schlusschoral; dann aber auch die Einwürfe („Turbae“) der Menschengruppen, die in dem Fugato-Chor  „Wir haben ein Gesetz“ gipfeln. Eine überragende Interpretation!
Die gewaltigste Aufgabe besaß jedoch der Solotenor, der als Evangelist permanent erzählen musste und zudem noch einzelne Arien zu bewältigen hatte. Stefan Sbonnik hatte eine sanfte, aber kraftvolle Stimme, die der Evangelistenrolle absolut angemessen war und gleichbleibende Qualität von Anfang bis Ende bewies. Auch wenn die Vorgaben in der Stimme das Nachempfinden der Qualen, des Sterbens etc. vorsahen, blieb Sbonnik souverän und zugleich hoch empathisch. Gustav Muthmann stand mit seinem sanften Bass für Jesus und war nicht minder überzeugend und glänzend; auch bei den anderen Bass-Solostücken beeindruckte er sehr, nicht nur in dem zarten Arioso „Betrachte, meine Seel“ mit den schönen Naturbildern. Wenig zu tun hatten die beiden weiblichen Solostimmen: Silke Weisheit konnte ihre Altstimme kaum zur Geltung bringen, aber was zu hören war, gefiel. Bettina Lecking hingegen wirkte erstaunlich kraftlos gegenüber Aufführungen anderer Werke; sie fing sich zwar bei ihrer zweiten Hauptpartie etwas, blieb aber ohne wirkliche Kraft und hinreichenden Ausdruck.
Äußerst kräftig hingegen erwies sich Volker Nordalm als Solobassist aus der Chorgemeinschaft heraus, der den Pilatus verkörperte – und als genaues Gegenteil zum sanften Bass Gustav Muthmanns: Sehr sonor und tiefgründig – also fast so, als stünden sich die unterschiedlichen Charaktere von Jesus und Pilatus wirklich gegenüber. Beide fantastisch, aber mit ganz unterschiedlichen stimmlichen Nuancen.
Insgesamt konnte diese Interpretation das hohe Niveau der Kamener Kirchenmusik in der Evangelischen Gemeinde erneut bestätigen und das Publikum begeistern. Weiter so! Und weiter bitte diese hervorragenden Stimmen fördern!






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